Synthetische Biologie und biologisches Design in Kunst und Wissenschaft – Ein Beitrag von Ingeborg Reichle

Als Nachtrag zu unserer vergangenen Gruppenausstellung Survival of the Fittest (29. Februar 2020 – 6. September 2020) möchten wir heute einen weiteren wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema mit euch teilen.

Wie der KI-Forscher Ankit Kariryaa, dessen Beitrag wir euch schon am 15. Juli hier auf unserem Blog präsentiert haben, beschäftigt sich auch die Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaftlerin Ingeborg Reichle in ihrer Forschung mit Fragen nach Veränderungen, die wir mittels Technologie an Ökosystemen oder an der biologischen Evolution vornehmen.

In ihrem Beitrag „Die Kunst des Künstlichen: Synthetische Biologie in Kunst und Wissenschaft“ beschreibt sie ausgewählte künstlerische Positionen, die sich mit der Technisierung des Lebendigen und so dem Verhältnis von Kunst und Natur auseinandersetzen. Unter anderem beschäftigt sich die Wissenschaftlerin verstärkt mit den Arbeiten der britischen Designerin und Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg, die auch in der Ausstellung des Kunstpalais zu sehen waren.

Seit den 1980er Jahren wenden sich demnach sowohl Wissenschafter*innen als auch Künstler*innen der Naturproduktion in den Technowissenschaften zu. Der Fokus liegt dabei auf dem Erschaffen von Natürlichem durch Menschenhand. So tritt die Natur mit der Kunst und mit der Technik in einen Diskurs.

Die Kunst des Künstlichen: Synthetische Biologie in Kunst und Wissenschaft

Ingeborg Reichle

Mit der Synthetischen Biologie ist in den letzten Jahrzehnten ein neuer Forschungs- und Anwendungsbereich der Technosciences entstanden, der Leben zwar (noch) nicht künstlich erzeugen kann, die Technisierung des Lebendigen jedoch in einem bislang ungekannten Maß forciert hat. Die Möglichkeit, neuartige Organismen im Labor herzustellen, veranlasste zu Beginn der 1980er-Jahre nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Künstler gleichermaßen sich der Naturproduktion in den Technowissenschaften zuzuwenden. Dabei galt das Interesse der Künstler vor allem jenen zukünftigen Szenarien des Lebendigen, in welchen die biologische Vielfalt nicht mehr durch Mutation und Selektion entsteht, sondern gezielt durch Menschenhand entstehen würde. Mit der Herstellung von techno-organischen Hybriden gelangten Künstler jedoch an einen neuralgischen Punkt, an dem die Künstlichkeit der hergestellten Natur mit der Artefaktizität der Kunst konfrontiert wurde und auf diese Weise das Verhältnis von Kunst und Natur, bzw. Natur und Technik zu implodieren schien.

Im Folgenden will ich Ihnen einige ausgewählte künstlerische Positionen vorstellen, die das Verhältnis von Kunst- und Naturbegriff im Zeitalter der Technoscience reflektieren und an Designentwürfen postevolutionärer Organismen arbeiten oder mit Hilfe von Verfahren der Synthetischen Biologie an der Herstellung neuer Organismen oder an der Rekonstruktion bereits ausgestorbener Arten im Bereich von Flora und Fauna beteiligt sind.

Zu Beginn meines Vortrages will ich Sie mit der Arbeit des Berliner Künstlers Reiner Maria Matysik bekannt machen, der nicht zuletzt aufgrund des Engagements von Künstlern für die ökologische Bewegung in der Mitte der 70er Jahre – wie beispielsweise Joseph Beuys – in der Mitte der 80er Jahre für eine Neubewertung des Verhältnisses von Kunst, Technik und Natur sensibilisiert wurde. Während es Beuys jedoch vor allem um das Adressieren umweltpolitischer Themen ging und um die Schaffung eines Bewusstseins für die Bewahrung der dem Menschen vorgegebenen Natur vor deren zügelloser Ausbeutung und Zerstörung, zielten junge Künstler wie Reiner Maria Matysik auf die Formulierung eines Naturbegriffs, der sich nicht in einer romantischen Rückprojektion verfangen sollte. Matysik ging es vielmehr um einen kritischen Zugriff auf affirmative Natur- als auch Technikvorstellungen, welche die biologische Evolution in einer technologischen Evolution aufgehen sahen, und damit die Technisierung des Lebendigen forcierte.

1986 war Matysik in der Zeitschrift Science auf eine Publikation des US-amerikanischen Genetikers und Zellbiologen Stephen Howell von der Iowa State University gestoßen, in der erstmals ein Bild einer Tabakpflanze mit einem Leuchteffekt abgebildet wurde, der durch das Einschleusen eines Luciferase-Gens aus einem Glühwürmchen induziert worden war.

Matysik sah in der Sichtbarmachung dieses – in seinen Augen spektakulären – neuartigen Organismus im Kunstkontext eine Möglichkeit, das durch die Biotechnologie induzierte neue Verhältnis von Kunst, Natur und Technik auszuloten, war für ihn diese transgene Pflanze doch eine bildliche Manifestation dieses neuen Verhältnisses.

Für die Umsetzung seiner Idee wandte sich Matysik an den Bielefelder Genetiker Alfred Pühler, der wie Stephen Howell damals an der Fluoreszenzmarkierung bei Tabakpflanzen forschte. Matysik lud Pühler ein seinen Modellorganismus in einem seiner Künstlerbücher zu publizieren und später auch in einem Netzprojekt. Diese Geste der Übertragung eines Modellorganismus aus dem Labor eines Wissenschaftlers in den Kunstkontext war für Matysik Ereignis genug, markierte dessen bloße Existent doch einen ontologischen Zwischenbereich von technischem Herstellen und natürlichem Wachsen. Die Herstellung der leuchtenden Tabakpflanze folgte in den Augen von Matysik der Konstruktion als klassische Weise des Erzeugens von Artefakten. Konstruierte, bzw. hergestellte Objekte fielen als Technik bis dahin allerdings in den Bereich der Gegenstände, während Lebewesen dem Reich der Natur zugeschrieben wurden.

Matysik sah weiter keine Notwendigkeit, jenseits seines Foto-Projektes die in einem wissenschaftlichen Kontext hergestellte Pflanze zu einem Kunstwerk zu erklären. Vielmehr ging es ihm darum zu zeigen, dass auch Lebewesen durch die Methoden und Verfahren der Biotechnologie im höchsten Maße künstlich, bzw. technisch sein können und darum, biotechnische Erzeugnisse nicht unhinterfragt unter „Natur“ zu subsummieren.

Matysik beließ es bei einem Foto-Projekt, Architekten und Biodesigner hingegen arbeiten seit geraumer Zeit an der konkreten Nutzung von leuchtenden Pflanzen in unsere Alltagswelt, bekannt wurde ein Projekt der Genetic Architectures Research Group in Barcelona, das dem Einsatz von genetischem Licht für urbane Räume arbeitet.

Konnte in der Kunstwelt bis vor wenigen Jahren durch das Zeigen transgener Organismen einen Sturm der Entrüstung auslösen, arbeiten Künstler (mit der Hilfe von Wissenschaftlern) längst an artifiziellen Organismen, die durch gezielte Konstruktionsprozesse entstehen. Die genetische Manipulation von Organismen, die in den frühen 1970er Jahren durch die Verfahren der Biotechnologie möglich wurde, wird gegenwärtig durch die Synthetische Biologie in gezielte Konstruktionsprozesse von Organismen überführt, die in der Natur so bislang nicht existieren.

Das noch junge Forschungsfeld der Synthetischen Biologie führt ein weites Spektrum naturwissenschaftlicher Disziplinen zusammen und überträgt ingenieurwissenschaftliche Paradigmen auf das Gebiet der Biologie. Verfolgte die klassische Biologie stets die Absicht, ein grundlegendes Verständnis von der Vielfalt und der Komplexität der durch evolutionäre Prozesse entstandenen Natur zu entwickeln, zielt die Synthetische Biologie vielmehr darauf, die Komplexität lebender Systeme zu reduzieren und lebensfähige Systeme mit minimal notwendigen Komponenten bottom-up zu entwerfen und Molekül für Molekül zu konstruieren und damit Einsichten in den Ursprung des Lebens zu eröffnen. Ein weiteres Ziel der Synthetischen Biologie ist die Herstellung von Mikroorganismen für einen ganz bestimmten Zweck. Mithilfe von standardisierten DNA-Bausteinen, sogenannten BioBricks, lassen sich über ein modulares Baukastensystem Organismen zielgerichtet planen und konstruieren, die über ein klar definiertes Spektrum an Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen. Diese Herstellungsprogrammatik versteht lebendige Organismen als komplexe chemische Maschinen und macht aus Lebendigem ein technisches Produkt.

Das zweckbestimmte Entwerfen und Herstellen von Organismen nach Maß, im Sinne eines rationalen Designs, wird insbesondere von den Verfechtern der Synthetischen Biologie mit einer großen Erzählung verknüpft, welche Lösungen für die Herausforderungen der Menschheit im 21. Jahrhundert verspricht, wie dem Klimawandel, der Energiefrage, die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und insbesondere die Umweltverschmutzung unseres Planeten als Kehrseite der Industrialisierung und eines zügellosen Massenkonsums. Diese Vision einer nachhaltigen und damit besseren Zukunft für alle Bewohner dieser Erde strahlt fraglos eine große Faszination aus.

„Synthetic biology is an emerging area of research that can broadly be described as the design and construction of novel artificial biological pathways, organisms or devices, or the redesign of existing natural biological systems.“

„Synthetic biology is the engineering of biology: the synthesis of complex, biologically based (or inspired) systems which display functions that do not exist in nature. This engineering perspective may be applied at all levels of the hierarchy of biological structures – from individual molecules to whole cells, tissues and organisms. In essence, synthetic biology will enable the design of ‘biological systems’ in a rational and systematic way.“

Seit den Anfängen der Aneignung biotechnologischer Methoden und laborwissenschaftlicher Verfahren durch die Kunst, hat sich eine stetig wachsende Gruppe von Künstlern mit den Auswirkungen der Neuerfindung der Natur durch die Technosciences befasst. Auch die Synthetische Biologie und deren ingenieurwissenschaftliches Paradigma sowie die Vorstellung, Leben bzw. Organismen neu entwerfen zu können, findet seit einigen Jahren Interesse bei Künstlern und Designern gleichermaßen. Während die Rezeption und Aneignung der Verfahren der Biotechnologie durch die Kunst jedoch darauf zielte, gesellschaftliche und ethische Debatten im Hinblick auf die Folgen dieser Risikotechnologie zu entfachen, scheint die Rezeption der Synthetischen Biologie durch die Kunst vor allem von der Faszination der Herstellungsprogrammatik und der großen Versprechungen dieses neuen Forschungsfeldes geprägt zu sein.

Die Vorstellung einer Teilhabe an der Suche nach Lösungen der drängenden Problemen der Menschheit wurde vor allem durch die iGEM-Initiative (international Genetically Engineered Machine) bestärkt, die 2003 vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausging, also zu einer Zeit, als die Do-It-Yourself-Biology-Bewegung (DIYbio) erstmals außerhalb eines kleinen Zirkels von community labs und Bioart Kunstprojekten wahrgenommen wurde.

Die Motivation der Begründer des iGEM-Wettbewerbs, wie Randy Rettberg, Tom Knight und Drew Endy, war es, Wissen über das hochdynamische Forschungsfeld der Synthetischen Biologie zu vermitteln, obwohl noch kein ausgereiftes Curriculum existierte. Studentische Teams sollten in der vorlesungsfreien Zeit durch ein kooperatives learning-by-building und einer idealen Synthese aus homo faber und homo ludens spielerisch an die Lerninhalte herangeführt werden und sich gegenseitig unterstützen. Um den Austausch der einzelnen Teams zu gewährleisten und unnötige Überschneidungen und ineffiziente Wiederholungen im Arbeitsprozess zu vermeiden, wurden Standards gesetzt für die Herstellung, die Dokumentation und den Austausch der sogenannten BioBricks, deren Daten seither in der von Tom Knight initiierten und öffentlich zugänglichen Open-Source-Datenbank Registry of Standard Biological Parts eingepflegt werden.

Im Kern geht es bis heute darum, Mikroorganismen zu entwerfen und mithilfe der DNASynthese herzustellen, die eine ganz bestimmte Funktion ausüben. Da natürliche Systeme sich aufgrund ihrer hohen Komplexität nur sehr schwer technisch herstellen lassen, war es von Beginn an wichtig, den ingenieurstechnischen Herstellungszyklus von Design, Konstruktion von Prototypen bzw. Herstellung (DNA-Synthese) und Testlauf so einfach als möglich zu gestalten. Der Entwurfsprozess wie auch die synthetische Herstellung der DNA wurden durch standardisierte Module vereinfacht und zudem wurde versucht, die Handhabung der Komplexität des Lebendigen durch Abstraktion in den Griff zu bekommen.

2004 gingen fünf studentische Teams an den Start, heute, zehn Jahre später, engagieren sich Tausende von Teilnehmern auf allen fünf Kontinenten, organisiert und angeleitet von der iGEM Foundation. Schon zu Beginn des Wettbewerbs partizipierten Künstler, die sich zuvor bereits umfassend mit biotechnologischen Verfahren und dem Design lebendiger Organismen befasst hatten, wie zum Beispiel Howard Boland und Alexandra Daisy Ginsberg. Neben den acht ursprünglichen Wettbewerbskategorien, wie beispielsweise Energie, Umwelt und Nahrung, wurde der iGEM-Wettbewerb 2009 neben sechs weiteren Bereichen um die Kategorie art and design erweitert.

Ziele von iGEM

– To enable the systematic engineering of biology.

– To promote the open and transparent development of tools for engineering biology.

– To help construct a society that can productively and safely apply biological technology.

2009 wurde dem Wettbewerb die Kategorie “art and design” hinzufügt.

Der norwegische Künstler Howard Boland, der in London lebt und vor einigen Jahren zusammen mit Laura Cinti die Plattform C-LAB zur Beförderung der Kooperation zwischen Kunst und Synthetischer Biologie gegründet hat, wurde 2011 eingeladen, im iGEM-Team des University College London teilzunehmen und im Jahr darauf als Berater zu fungieren und an der University of Westminster schließlich sein eigenes Team zu gründen und aufzubauen.[1] Zwei Jahre später promovierte er eben dort mit seiner Dissertation Art from Synthetic Biology (2013).

2008 hatte Boland eine Tagung der Royal Society in London besucht zur zukünftigen wissenschaftlichen Entwicklung und den möglichen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Synthetischen Biologie, um mehr über den aktuellen wissenschaftlichen Stand und den Zugriff auf dieses neue Forschungsfeld vonseiten der Kunst zu erfahren. Boland war vor allem an den rechtlichen und ethischen Fragen interessiert, wie zum Beispiel der Möglichkeit, synthetisch hergestellte Organismen außerhalb des Labors im Kunstkontext auszustellen und dabei Fragen der Biosicherheit zu berücksichtigen.

Boland initiierte 2012 schließlich das Project Plastic Republic, das mithilfe von synthetischen Mikroorganismen das Ausmaß der Plastikverschmutzung in den Weltmeeren zu beheben versucht. Ziel des Projekts ist es, die Plastikteilchen in den Wirbeln der Meeresdriftströmungen, wie zum Beispiel im Great Pacific Garbage Patch, zu binden und zu Inseln zu formen, die in der Folge neuen Lebensraum bieten könnten.[2] Dafür entwickelte Boland in Kooperation mit der DIYbio-Gruppe London Hackspace ein erstes öffentliches BioBricks™, welches er im Grant Museum of Zoology, dem Universitätsmuseum für Zoologie des University College London, vor- und ausstellen konnte. Zudem organisierte der Künstler eine Expertenrunde, um den radikalen Vorschlag zu diskutieren, gentechnisch veränderte Organismen in die Weltmeere einzubringen und damit toxischen Plastikmüll zu entsorgen.

Die britische Designerin und Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg, die ebenfalls in London lebt, kooperierte 2009 mit dem Designer James King und mit dem iGEM-Team der University of Cambridge, das 2009 den iGEM-Wettbewerb gewann mit dem Projekt E. chromi. Das iGEM Team hatte E. coli-Bakterien so programmiert, das diese wie ein Sensor ab einer gewissen Konzentration Giftstoffe in ihrer Umgebung unmittelbar erfassen können und in der Folge Farbstoffe ausschütten. Ginsberg und King griffen diese Idee auf und konzipierten mögliche zukünftige Anwendungen von E. chromi wie z.B. The Scatalog (2009), ein personalisiertes Monitoringsystem für das Aufspüren von Krankheiten im menschlichen Darm.[3] Ginzberg promovierte 2017 am Royal College of Art in London mit einer Dissertation mit dem Titel Better bei Anthory Dunne, einer Arbeit die davon handelt der wie mächtige Traum von einer „besseren“ Zukunft die Dinge prägen, die entworfen werden. Der britische Designer Anthory Dunne, der heute als Professor an der New School in New York lehrt und zuvor viele Jahre am Royal College of Art in London tätig war, ist zusammen mit Fiona Raby der Autor der einflußreichen Publikation Speculative Everything. Design, Fiction and Social Dreaming, The Massachusetts Institute of Technology Press, Cambridge/Mass. und London 2013.

Alexandra Daisy Ginsberg & James King, mit dem iGEM-Team der University of Cambridge,
The E. chromi Scatalog (2009), Foto: Åsa Johannesson.

Mit dem Projekt Design for the Sixth Extinction konzipierte Ginsberg zusammen mit Forschern aus dem Bereich der Synthetischen Biologie und der Biodiversitätsforschung neuartige Organismen, die helfen können, bedrohte Ökosysteme vor dem Kollaps zu bewahren und das gegenwärtige sechste große Massensterben zu verlangsamen, indem von Menschen designte Organismen beispielsweise Bäume vor schädlichem Pilzbefall schützen. Die Bewahrung der Biodiversität ist für die Künstlerin eine unerlässliche Grundlage für die Beförderung einer auf Biodesign und Synthetischer Biologie basierenden Bioökonomie, die sich grundlegend in ihrer Produktionsweise von unserer bisherigen Industriekultur unterscheiden wird.

Alexandra Daisy Ginsberg: Designing for the Sixth Extinction (2013), C-Print, Patentzeichnungen, Patentfotografien, 3D-gedruckte Modellschnecken, Installationsansicht Kunstpalais, Erlangen (2020), Foto: Kilian Reil.
Alexandra Daisy Ginsberg: Designing for the Sixth Extinction (2013), Leuchtkasten, 150 cm x 225 cm, Installationsansicht Kunstpalais, Erlangen, Detail (2020), Foto: Kilian Reil.

Alexandra Daisy Ginsberg:

„In this version of the future, novel companion species designed by synthetic biologists support endangered natural species and ecosystems. Financed by corporate biodiversity Offset schemes, patented species are released into the wild. They compensate for biodiversity lost due to widespread monoculture farming of biomass for biofuel and chemical production. Fora thriving bioeconomy, the preservation of natural biodiversity is worthwhile not just for sentimental reasons, it is also a valuable DNA library for future biological designs.

Modelled on fungus, bacteria, invertebrates and mammals, the designed species are ecological machines that fill the void left by vanished organisms, or offer novel protection against more harmful invasive species, diseases and pollution. Constructed using an expanded DNA code that produces non-biodegradable proteins, the synthetic biodiversity is hardy in the face of wild predators that have not yet evolved to eat and digest them. They operate in enclosed ecosystems, the outcome of decades of political negotiation and compromise around biosafety and release.

Designed organisms used to maintain or revive disappearing ecosystems would demand a relaxed attitude to biological control, risk and ownership. The taxonomic status of organisms that are technologically isolated with no purpose except to save others is also uncertain.”

Aufgrund der engen Verbindung zwischen synthetischer Biologie und Design haben eine Reihe von Institutionen die auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung tätig sind, in den letzten Jahren Preise, Wettbewerbe und Förderlinien initiiert, die Künstler und Designer einladen, mit Forschern auf dem Gebiet der synthetischen Biologie zusammenzuarbeiten. Der British Engineering and Physical Sciences Research Council (EPSRC) finanziert seit 2010 zusammen mit der US National Science Foundation (NSF) das renommierte Projekt Synthetic Aesthetics, das die Zusammenarbeit zwischen Forschern aus dem Bereich der synthetischen Biologie, Künstlern und Designer beiträgt, veröffentlicht wurden einige Ergebnisse in dem Sammelband Synthetic Aesthetics: Investigating Synthetic Biology Designs on Nature (MIT Press) im Jahr 2014.

Am Ende meines Vortrages will ich zwei jüngere Arbeiten von Alexandra Daisy Ginsberg vorstellen, die auf die Rekonstruktion von ausgestorbenen Pflanzen und Tieren zielt und in enger Kooperation mit Wissenschaftlern entstanden sind:

Resurrecting the Sublime (2018), ist ein Projekt, das von der Frage motiviert ist, ob wir jemals wieder Pflanzen riechen können, die ausgestorben sind. Das Projekt entstand zusammen mit der Berliner Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas und einem interdisziplinären Team von Forschern und Ingenieuren des US-amerikanischen Biotechnologieunternehmens Ginkgo Bioworks.

Christina Agapakis, Alexandra Daisy Ginsberg, Sissel Tolaas, Resurrecting the Sublime (2018), Geruchsdiffusionshaube, Lavastein, Dokumentarfilm, Installation in der Ausstellung Survival of the Fittest, Kunstpalais, Erlangen (2020), Foto: Kilian Reil.

Das Ginkgo-Team um Christina Agapakis verwendete winzige DNA-Mengen, die aus Proben der getrockneten Pflanze Hibiscadelphus wilderianus extrahiert wurden, um Gensequenzen künstlich zu synthetisieren, die für duftproduzierende Enzyme kodieren können. Das einzige Exemplar das von dieser Pflanzenart je gefunden wurde, wird im Herbarium der Harvard Universität gelagert. Hibiscadelphus wilderianus wurde 1910 entdeckt und schon damals gab es die Vermutung, das diese Spezies ausstarb, da die Vogelart, welche die Bäume bestäubte, zuvor ausgestorben war.

Mit diesen Erkenntnissen des Ginkgo-Teams rekonstruierte Sissel Tolaas mit ihrem Fachwissen den Duft der Pflanze in ihrem Berliner Labor unter Verwendung identischer oder ähnlicher Geruchsmoleküle.

Getrocknetes Exemplar von Hibiscadelphus wilderianus, 1910 gesammelt von Gerrit P. Wilder auf Maui Island, Hawaii. Foto: Mit
freundlicher Genehmigung von Gray
Herbarium, Harvard University.

Der Hibiscadelphus wilderianus war auf den Lavafeldern an den Südhängen des Mount Haleakalā auf Maui, Hawaii, beheimatet. Sein Lebensraum wurde durch Viehzucht während der Kolonialzeit dezimiert, der letzte verbliebene Baum starb 1912 ab.

Die von Ginsberg entworfene Installation diffundiert Gerüche einer Pflanze, die ausgerottet wurde und damit der menschlichen Erfahrung nicht mehr zugänglich. Die Wiederbelebung der Geruchserfahrung ausgestorbener Pflanzen ist ein Bereich, der dem nahe kommt, was momentan in Labors auf der ganzen Welt passiert, in welchen Wissenschaftler – wie zum Beispiel der Harvard-Professor George Church – an der Rekonstruktion von DNA Fragmenten oder der Rekonstruktion eines ganzen Genoms ausgestorbener Arten arbeiten.

Dies reflektiert Ginsberg in ihrem Projekt The Substitute. Das Nördliche Breitmaulnashorn, das 2018 ausstarb (2018 starb das letzte männliche Exemplar dieser Art) wird digital wieder zum Leben erweckt und durch künstliche Intelligenz (KI) wiederbelebt. Basierend auf Forschungen der in London ansässigen Firma DeepMind fungiert das Nashorn als ein künstlicher Agent, eine autonome Einheit, die von seiner Umgebung lernt. Eine lebensgroße Projektion mit einer Breite von 5 Metern zeigt das digitale Nashorn, das in einer virtuellen Umgebung herumstreift und immer „realer“ erscheint. Während sich das künstliche Nashorn an seinen Raum, bzw. seine Umwelt gewöhnt, wechseln Form und Klang schemenhafte zu lebensecht – was den Betrachter daran erinnern soll, dass dieses lebende, atmende Nashorn, völlig künstlich ist. Das Verhalten und die Geräusche des Nashorns wurden aus seltenen Forschungsaufnahmen der letzten Herde rekonstruiert, die Dr. Richard Policht vom Department of Game Management and Wildlife Biology der Tschechische Agraruniversität Prag (gegründet 2013) vor einigen Jahren gemacht hatte.

Forscher wie George Church oder NGOs wie Revive & Restore wollen nichts weniger als ein neues Toolkit für den Naturschutz des 21. Jahrhunderts entwickeln und der Menschheit bereitstellen, indem sie neue Methoden der Synthetischen Biologie oder des genome editing auf die Herausforderungen des Verlusts der biologischen Vielfalt anwenden. Das erzeugen von techno-organische Hybriden lässt die Differenz von Natur und technisch hergestellten Lebewesen verschwimmen und dazu verleiten, diese im höchsten Maße technische Natur als Artefakte zu beschreiben, da sie künstliche, vom Menschen erschaffene Objekte sind, die so nicht in der Natur vorgefunden wurden und im Grunde einen ontologischen Zwischenbereich markieren. Auf der einen Seite intendieren Künstler und Künstlerinnen wie Reiner Maria Matysik, Howard Boland oder Alexandra Daisy Ginsberg eine kritische Auseinandersetzung mit Bereichen der Technoscience wie der Biotechnologie oder der Synthetischen Biologie, auf der anderen Seite leistet die Kunst hier einen Vorschub, der zur Einebnung der Differenz zwischen Natur und Technik führt und dies mit ungewissem Ausgang.


[1] Vgl. zu Howard Bolands Kunstprojekten und seiner wissenschaftlichen Arbeit im Kontext der synthetischen Biologie seine Dissertation, University of Westminster, 2013: Howard Boland (2013): Art from Synthetic Biology, Phil. Diss. London.

[2] Vgl. zur Plastikverschmutzung in den Meeren: Kőpataki, Éva (2010): The Impacts of Plastic Pollution in the North Pacific Ocean and Possible Solutions. Case Study: The Great Pacific Garbage Patch. München.

[3] Ginsberg, Alexandra Daisy: Design Evolution. In: Ginsberg, Alexandra Daisy et al. (Hrsg.) (2014): Synthetic Aesthetics. Investigating Synthetic Biology’s Designs on Nature. Cambridge, Mass., S. 100–137.

Hinterlasse einen Kommentar